Leitfadeninterview – Durchführung & Vor- und Nachteile

15.05.18 Interview Lesedauer: 9min

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Leitfadeninterview-01

Ein Leitfadeninterview ist eine qualitative Forschungsmethode, die es ermöglicht, umfassende Informationen und persönliche Perspektiven von Teilnehmern zu einem konkreten Thema zu erhalten. Für den Erfolg ist besonders die sorgfältige Erstellung des Leitfadens entscheidend. In diesem Beitrag zeigen wir dir, wie du ein Leitfadeninterview effektiv planst, durchführst und auch auswertest.

Leitfadeninterview „einfach erklärt“

Ein Leitfadeninterview ist ein Gespräch, bei dem Fragen zu einem ausgewählten Thema gestellt werden, die helfen sollen, tiefergehende Informationen von einer Person zu bekommen. Dabei hält sich der Interviewer an einen vorbereiteten Fragenkatalog, den Leitfaden, darf aber auch flexibel darauf reagieren, was die befragte Person sagt. So können neben den geplanten Antworten auch neue, unerwartete Einblicke gewonnen werden. Es ist wie ein strukturiertes, aber dennoch offenes Gespräch.

Definition: Leitfadeninterview

Das Leitfadeninterview ist eine Methodik der qualitativen Sozialforschung, bei der anhand eines vorbereiteten Leitfadens ein Interview geführt wird. Durch den festgelegten Leitfaden weiß der Interviewer, welche Fragen oder Themen er im Gespräch ansprechen muss, trotzdem hat er aber auch genügend Spielraum, um auf die Antworten der Befragten einzugehen, Nachfragen zu stellen und das Gespräch je nach Situation flexibel zu gestalten. Aus diesem Grund ist ein Leitfadeninterview ein offenes Interview. Das Ziel eines Leitfadeninterviews ist es, detaillierte Informationen, Meinungen und Einstellungen zu einem bestimmten Forschungsgegenstand aus der Perspektive der Interviewten zu erfassen. In der folgenden Tabelle sind die wichtigsten Merkmale eines Leitfadeninterviews aufgelistet.

Wichtige Punkte Erklärung
Mündlich und persönlich Kein Ablesen von Fragen, spontane Erzählungen priorisieren und die Anzahl von Fragen (max. vier größere Frageblöcke) pro Interview begrenzen.
Semistrukturiert Leitfaden soll nur Orientierungshilfe sein und sich am „natürlichen“ Erinnerungs- und Argumentationsfluss orientieren, damit es offener ist.
Offene Fragen Berücksichtigung der Grundprinzipien qualitativer Sozialforschung, vor allem des Prinzips der Offenheit und Flexibilität.
Neutraler Interviewstil Keine wertenden Aussagen zu den Antworten, sondern wertschätzende Haltung seitens des Interviewers während des Leitfadeninterviews.
Einzelinterviews Aufgrund der manchmal sensiblen Inhalte sollen die Gespräche unter vier Augen stattfinden (mehr Teilnehmer = Gruppeninterview).

Tipp: Die vier Schritte Sammeln, Prüfen, Sortieren und Subsumieren (SPSS) können dir bei der Erstellung deines Interviewleitfadens helfen.

  • Sammeln von möglichst vielen Fragen.
  • Prüfen der Fragen mit dem Ziel einer Reduzierung und Strukturierung.
  • Sortieren der verbleibenden Fragen nach inhaltlicher Logik.
  • Subsumieren der einzelnen Fragen unter einfachen Erzählaufforderungen.

Verschiedene Interviewformen

Im Leitfadeninterview wird Struktur mit Flexibilität verbunden, indem der Interviewer einem vorbereiteten Fragenkatalog folgt, der dem Gespräch eine klare Richtung gibt, gleichzeitig kann er aber auch spontan auf die Antworten eingehen. Durch die Balance zwischen Vorgaben und Offenheit zählt das leitfadengestützte Interview als semistrukturiertes Interview. Im Folgenden werden dir die Unterschiede zwischen einem strukturierten Interview, einem semistrukturierten Interview und einem unstrukturierten Interview aufgezeigt.

  • strukturierte Interviews: fest vorgegebener Wortlaut und Reihenfolge der Fragen
  • semistrukturierte Interviews: vorgegebener Wortlaut und Reihenfolge, Improvisationen sind jedoch möglich
  • unstrukturierte Interviews: abgesehen vom Forschungsthema ist alles frei
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Durchführung

Die Durchführung eines Leitfadeninterviews erfolgt in vier Schritten.

Leitfadeninterview-Durchfuehrung

1. Leitfragen erstellen

Im ersten Schritt erstellst du den Leitfaden, indem du Fragen sammelst und sie sortierst. Außerdem musst du noch Fragen für die Vergleichbarkeit zusammenstellen, dazu eignet sich zum Beispiel das Alter. Achte zudem darauf, dass du nicht zu viele Fragen hast und dass die Fragen nicht geschlossen oder entweder-order-Fragen sind. Die Reihenfolge der Fragen im Leitfadeninterview orientiert sich am Erzählfluss.

Schritt 1: Eröffnungsfrage

Das Interviewgespräch kann am besten mit einer Eröffnungsfrage begonnen werden. Sie dient als sanfter Einstieg in das Interview Thema und hilft, die Atmosphäre zu entspannen. Weiterhin hilft die Eröffnungsfrage, schrittweise zum Hauptthema des Interviews überzuleiten.

Schritt 2: Zentraler Teil

Im zentralen Teil erstellst du eine Liste mit Fragen, die sich auf dein spezifisches Thema beziehen. An diesem Punkt solltest du alle Fragen und Themenbereiche sammeln, die für dein festgelegtes Thema von Bedeutung erscheinen. Du kannst dich auch an der unteren Liste mit Fragetypen orientieren.

Schritt 3: Abschluss und Reflexion

Am Ende des Interviews solltest du eine abschließende Frage in deinen Leitfaden aufnehmen, die dazu dient, das Gespräch abzurunden. Zudem fasst du kurz die diskutierten Punkte zusammen und drückst deine Dankbarkeit für die investierte Zeit der interviewten Person aus.

2. Person auswählen

Achte bei der Wahl der befragten Person für dein Leitfadeninterview darauf, dass du besonders interessante Fälle wählst. Nehme danach Kontakt zu der jeweiligen Person auf und vereinbare einen Termin. Wichtig ist außerdem, dass du deine Auswahl nicht nur aus deinem Bekanntenkreis triffst, so vermeidest du eine Verzerrung der Antworten. Zusätzlich ist es ratsam, offen gegenüber Fällen zu sein, die von der eigenen Vorstellung abweichen können.

3. Datenerfassung

Wähle vorab für dein Leitfadeninterview eine für die befragte Person vertraute Umgebung. Zudem ist es wichtig, dass du dir eine Einverständniserklärung zur Aufnahme einholst, damit du beim Gespräch nicht mitschreiben musst. Dann solltest du, bevor das Gespräch beginnt noch die Technik abchecken, um sicherzugehen, dass die Aufnahme auch funktioniert. Es ist ratsam, dass du dich der befragten Person bezüglich des Kleidungsstils und Sprachniveaus anpasst. Vermeide zudem Befragungsmerkmale wie Suggestivfragen und stelle immer nur eine Frage auf einmal. Sei außerdem offen gegenüber den Antworten!

Beispiel: Einleitung

  • Dank für die Teilnahmebereitschaft
  • Eigene Vorstellung (Wer bist du? Was ist dein Projekt?)
  • Erklärung des Vorgehens (ein ca. 30min. Gespräch)
  • Anonymität und Datenschutz
  • Aufnahme starten!
  • Kurzfragebogen

4. Datenanalyse

Um die Daten eines Leitfadeninterviews analysieren zu können, musst du eine Audiotranskription anfertigen. Entwickle zuerst Hauptkategorien, damit du einen Überblick über verschiedene Thematiken bekommst. Danach kannst du nach dem Sammeln und Auswerten der Daten Subkategorien entwickeln, damit das gesamte Material auf die Haupt- und Subkategorien codiert werden kann. Im Anschluss daran können die Ergebnisse vom Leitfadeninterview visualisiert werden. Es ist wichtig, dass du genügend Zeit für die Auswertung einplanst, da dieser Teil sehr zeitintensiv sein kann, denn für 10 Stunden Interview-Material braucht man meistens 60 bis 80 Stunden zum Transkribieren. Du kannst auch eine Transkriptionssoftware zur Hilfe nehmen, damit du nicht alles allein transkribieren musst. Die folgende Abbildung zeigt dir nochmal anschaulich alle sieben Schritte, damit die Auswertung deines Leitfadeninterviews problemlos verläuft.

Leitfadeninterview-Datenanalyse

Formulierung

Grundsätzlich wird zwischen offenen und geschlossenen Fragen unterschieden. In einem Leitfadeninterview solltest du überwiegend offene Fragen verwenden, denn diese geben die Antworten nicht vor, wodurch sie auch nicht in ein vorgegebenes Schema eingeordnet werden können.

Beispiel: offene Frage

Frage: Wie ist Ihre Meinung zum Thema Klimawandel?

Antwort: Ich sehe den Klimawandel als eine der größten Herausforderungen unserer Zeit, die dringendes und konsequentes Handeln erfordert. Es ist wichtig, dass sowohl Einzelpersonen als auch Regierungen zusammenarbeiten, um nachhaltige Lösungen zu fördern und die negativen Auswirkungen auf unseren Planeten zu minimieren.

Am folgenden Beispiel kannst du den Unterschied zwischen offenen und geschlossenen Fragen und deren Wirkung auf den Informationsgehalt deutlich erkennen.

Beispiel: geschlossene Frage

Frage: Glauben Sie an den Klimawandel?

Antwort:

  • Ja, ich glaube an den Klimawandel.
  • Nein, ich glaube nicht an den Klimawandel.

Fragetypen

Nachstehend sind die wichtigsten Fragetypen aufgelistet, damit du weißt, wann du welche Frage in deinem Leitfadeninterview einsetzten solltest.

Offene Frage

Lädt zum Erzählen ein und fängt meistens mit „Was?“, „Wer?“, „Wie?“, „Wann?“, „Wofür?“, „Wodurch?“ an.

Aufrechterhaltungsfrage

Damit kann das Gespräch aufrecht gehalten werden oder es können mehr Informationen gesammelt werden.

Beispiel: Aufrechterhaltungsfrage

  • „Wie war das für Sie …?“
  • „Können Sie mir das etwas genauer beschreiben?“
  • „Wie ging es dann weiter?“

Tipp: Du kannst die letzten Worte des Befragten wiederholen, um eine Frage zu formulieren.

Erzählimpuls

Kann entweder zu Beginn des Interviews oder wenn das Gespräch ins Stocken kommt, eingesetzt werden. Dabei ist es wichtig, dass die Frage zwar offen, aber konkret gestellt wird.

Beispiel: Erzählimpuls

  • „Erzählen Sie doch mal …“
  • „Können Sie sich an eine typische Situation erinnern, in der …“

Steuerungsfrage

Eignet sich, wenn das Gespräch auf die Fragestellung (zurück) gelenkt werden soll und um gezielte Informationen zur Forschungsfrage zu sammeln.

Beispiel: Steuerungsfrage

  • „Können Sie vielleicht ein Beispiel nennen?“
  • „Spielt es auch eine Rolle, dass …?“
  • „Können Sie das ausführlicher beschreiben?“

Konfrontation

Damit können (scheinbare) Widersprüche im Gesprächsverlauf aufgezeigt werden, zum Beispiel durch „Sie haben vorhin gesagt, dass …“.

Wichtig: Stelle die befragte Person hierbei nicht bloß!

Wunderfrage

Kann den Fokus weg vom Problem und hin zu einer Lösung lenken.

Beispiel: Wunderfrage

  • „Angenommen es geschehe ein Wunder und diese Schwierigkeiten würden gelöst werden, woran merkten Sie, dass ein Wunder geschah?“

Zirkuläre Frage

Eignet sich, um die Perspektive des Befragten zu erweitern und eine neue Sichtweise zu eröffnen.

Beispiel: Zirkuläre Frage

  • „Was denken Sie, würde XY sagen?“

Paradoxe Frage

Damit werden die Gründe eines Problems deutlich erkennbar gemacht.

Beispiel: Paradoxe Frage

  • „Was müssten Sie tun, damit das Problem noch schlimmer wird?“
  • „Was müsste geschehen, damit das Problem schlimmer wird?“

Paraphrase/Widerspiegeln

Eignet sich, um Gedanken des Befragten fortzuführen oder zu ergänzen.

Beispiel: Paraphrase

  • „Wenn ich Sie richtig verstanden habe …“
  • „Meinen Sie, dass …?“

Tipp: Dabei helfen aktives Zuhören, eine hohe Aufmerksamkeit und Merkfähigkeit!

Vor- und Nachteile

Die Wahl des Leitfadeninterviews als qualitative Forschungsmethode beeinflusst auch immer deine Forschungsergebnisse. Es kann nämlich sein, dass du andere Ergebnisse bekommst, wenn du ein anderes Erhebungsinstrument verwendest, außerdem ist der Vergleich verschiedener Interviews schwieriger als bei anderen Interviewformen. Zudem müssen alle Schritte der Durchführung eines Leitfadeninterviews für andere Forscher nachvollziehbar gestaltet sein. Folgende Tabelle zeigt die Vor- und Nachteile eines Leitfadeninterviews:

Vorteile Nachteile
Flexibel in der Durchführung Gefahr, dass Interviewer am Leitfaden „klebt“
Höhere Vergleichbarkeit durch Einsatz von Leitfaden Geringe Vergleichbarkeit der Ergebnisse
Geringe Beeinflussung des Befragten durch Prädetermination Höherer Zeitaufwand, da schwierigere Auswertung
Sichtweise der Befragten wird deutlich, da eigene Formulierungen des Befragten möglich Möglicher großer Einfluss des Interviewers auf den Befragten
Hoher Informationsgewinn und konkrete Aussagen zum Forschungsgegenstand Höhere Anforderungen an den Interviewer und Befragten
Der Leitfaden dient als Hilfestellung bei der Vorbereitung und als Strukturierung und Orientierung während der Interviewsituation Gefahr, dass eine Frage-Antwort-Situation entsteht und dadurch kein Vertrauen aufgebaut werden kann
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Häufig gestellte Fragen

Anhand eines vorher festgelegten Leitfadens, der bestimmte Fragen und Themen enthält, bekommt das Interview Struktur, wodurch man tiefgehende Einblicke in die Meinungen, Erfahrungen und Einstellungen der Befragten erhalten kann. Gleichzeitig besteht beim Leitfadeninterview auch genügend Flexibilität, um auf interessante Antworten näher einzugehen, weshalb leitfadengestützte Interviews zu den semistrukturierten Interviews zählen. Der Leitfaden dient dabei als Orientierungshilfe, um sicherzustellen, dass alle relevanten Aspekte des Forschungsthemas abgedeckt werden, du musst dich aber nicht zwingend an den Ablauf im Leitfaden halten.

Ein Leitfadeninterview eignet sich besonders, wenn tiefgründige Informationen, Meinungen oder Erfahrungen zu einem spezifischen Thema gesammelt werden sollen. Es ist ideal, wenn die Forschungsfrage offene Antworten erfordert und der Forscher an den nuancierten Perspektiven der Befragten interessiert ist, während gleichzeitig ein gewisser Rahmen gewahrt bleiben soll, um die Vergleichbarkeit der Interviews zu sichern.

Um ein Leitfadeninterview durchzuführen, bereitest du zunächst einen detaillierten Fragenkatalog vor, der als Leitfaden dient und sicherstellt, dass alle relevanten Themenbereiche abgedeckt werden. Während des Interviews folgst du diesem Leitfaden, lässt den Befragten jedoch genügend Raum, um ihre Gedanken ausführlich zu äußern, und bist offen für Abweichungen vom entwickelten Leitfaden, wenn sie tiefergehende Einblicke versprechen. Es ist wichtig, eine offene und vertrauensvolle Atmosphäre zu schaffen, um ehrliche und detaillierte Antworten zu fördern.

Leitfadeninterviews bieten den Vorteil, dass sie tiefe und detaillierte Einblicke in individuelle Perspektiven, Meinungen und Erfahrungen ermöglichen, die in standardisierten Befragungen möglicherweise nicht zum Vorschein kommen. Durch die flexible Struktur können Forschende gezielt auf interessante Punkte eingehen und gleichzeitig sicherstellen, dass alle relevanten Aspekte des Themas behandelt werden. Diese Methode fördert ein umfassendes Verständnis komplexer Sachverhalte und ermöglicht eine hohe Anpassungsfähigkeit an die Bedürfnisse der Forschung.

Experteninterviews konzentrieren sich auf das Sammeln von spezialisiertem Wissen und Einsichten von Personen, die auf einem bestimmten Gebiet als Experten gelten, und sind oft auf die Erhebung sehr spezifischer Informationen ausgerichtet. Leitfadeninterviews hingegen sind breiter angelegt und können mit einer Vielzahl von Teilnehmern durchgeführt werden, um ein umfassendes Verständnis zu verschiedenen Themen zu gewinnen, wobei der Leitfaden Flexibilität in der Gesprächsführung bietet. Der Hauptunterschied liegt also im Fokus und in der Zielgruppe der Interviews.